Der Text könnte wirklich von mir sein …
Ein Beitrag zum Themengebiet Anmerken., geschrieben am 29. April 2022 von Thomas LasserIch war neulich mal wieder auf dem Bürgeramt. Das mache ich nicht häufig, aber grundsätzlich gerne. Onlinetermin, rein, ran und wieder raus. Das klappt in Hannover ganz vorzüglich. Mein Reisepass war schon lange abgelaufen (machte nichts, wohin reiste man in den letzten zwei Jahren schon) und meinem Personalausweis drohte ein ähnliches Schicksal (im Herbst, aber die Produktion soll ja gerade echt lange dauern). So. Aber jetzt kommt`s: 100 € (glatt) an Gebühren. Ich war etwas baff.
Genau darüber erschien gerade im SPIEGEL ein Text von Barbara Supp. Den ich, was ich nicht oft mache, hier einfach mal 1:1 reinlaufen lasse. Er könnte (hüstel) nämlich von mir sein. Und er drückt ziemlich genau das aus, was ich beim Verlassen des Bürgeramts fühlte. Vorhang auf … !
Über Gebühr
Der Personalausweis läuft ab, der Reisepass gilt schon lange nicht mehr, auch der Führerschein muss neu ausgestellt werden. Macht an Gebühren: 139,40 Euro. Warum uns die Erfüllung einer Pflicht so viel Geld kostet.
Manchmal kommt alles zusammen. Ohne Personalausweis geht nichts mehr, schon gar nicht seit Corona, zufällig fällt der Blick darauf: Er läuft ab. Außerdem stellt sich heraus, dass man zu einem Jahrgang gehört, der den alten Führerschein in etwas Modernes umzutauschen hat. Und dann gibt es ja auch noch den roten Reisepass, man hat ihn eine Weile nicht mehr in der Hand gehabt, Coronazeit war keine Zeit für Reisen. Er gilt nicht mehr. Schon länger nicht.
Lästige Erkenntnisse, sie führen zu einem Besuch im Bezirksamt in Hamburg-Altona, zu allerlei Anträgen und einem Kassenzettel als Beleg für die Gebühren, die im Amt zu entrichten waren: insgesamt 139,40 Euro.
Der Kassenzettel führt zu Staunen, aber auch zu Fragen. Warum so viel? Man geht ja nicht auf eigenen Wunsch da hin. Warum muss man es sich leisten können, gesetzliche Pflichten zu erfüllen?
Den Reisepass, so könnte man argumentieren, braucht vielleicht nicht jeder. Den Führerschein aber benötigt man für bestimmte Jobs, und er ist unverzichtbar, wenn man auf dem Land lebt, wo oft nur der Schulbus fährt und sonst nichts.
Den Personalausweis braucht jeder, der keinen Reisepass hat. Eines von beidem zu besitzen, ist für alle Deutschen vom 16. Geburtstag an lebenslange Pflicht.
Der Mensch wird Mensch durch das passende Dokument, staatsbürgerlich gesehen, und er muss dafür bezahlen, als wäre es ein Privileg. Warum eigentlich?
Der Kassenzettel führt zu dem Wunsch, Verwaltungshandeln zu verstehen. Er führt zu Verordnungen, seltsamen Wörtern, zwei Bundesministerien, einem Bezirksamt und dem Europaparlament. Deutschland will modern werden. Es ist verhext.
Der Führerschein muss wegen der sogenannten Dritten Führerscheinrichtlinie des Europaparlaments und des Rates bis 2033 in der gesamten EU ersetzt werden durch etwas Europataugliches. Der Führerschein ist oft noch ein grauer Lappen aus einer anderen Zeit. Oder doch nicht? »Karteikartenabschrift« heißt etwas, das besorgt werden muss, falls der Führerschein woanders ausgestellt worden ist als dort, wo der umtauschende Mensch jetzt wohnt.
Karteikartenabschrift. Ein Ärmelschoner-Wort.
Ein Teil der Presseabteilung im Bundesministerium hieß zeitweise »Neuigkeitenzimmer«, die anderen Wörter sind die alten geblieben. Zum Beispiel die »Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOst)«. Das Ministerium nennt auf Nachfrage die für den Umtausch eines Führerscheins relevanten Ziffern dieser Ordnung. Addiert man sie, kommt man auf 30,40 Euro.
Über die weiteren Kosten weiß das Bundesministerium des Inneren und für Heimat Bescheid.
Ein Hartz-IV-Bezieher soll zehn Jahre lang sparen für einen Ausweis.
Täuscht das, oder weht ein Hauch von Verkaufspsychologie durch die Mail, die vom Innenministerium kommt? Hochfeine Ware! Toller Preis! In ministeriellen Worten: Personalausweis und Reisepass seien »Hochsicherheitsdokumente mit sehr hoher Fälschungssicherheit«, berechnet werde der »Selbstkostenpreis«.
Zu zahlen seien lediglich die Produktionskosten von 46 Euro (beim Reisepass) beziehungsweise 21 Euro (beim Personalausweis), außerdem Verwaltungskosten.
Es ist viel. 60 Euro sind es am Ende für den Reisepass, 37 Euro für den Personalausweis, etwas weniger kostet es für Menschen, die jünger als 24 sind.
Es ist alles rechtens. Aber ist es richtig?
37 Euro. Für einen alleinstehenden Hartz-IV-Bezieher ist das ungefähr die Summe für Nahrungsmittel und Getränke einer Woche. Falls er den vollen Regelsatz bezieht. Wie soll das gehen?
Die »Kosten für eine Ausweisbeschaffung«, schreibt kühl das Innenministerium, seien in die Berechnung der Regelbedarfe »einbezogen«. Bei besonderer Bedürftigkeit sei eine Gebührenermäßigung oder -befreiung möglich, nach Prüfung der ausstellenden Behörde. Die ausstellende Behörde in Altona bestätigt das. Sie nennt Beispiele, aus denen hervorgeht: Wer einfach nur Hartz-IV-Bezieher ist, ist nicht bedürftig genug.
Was das bedeutet, das hat die Hamburger Diakonie kritisch vorgerechnet: Der Regelsatz für Alleinstehende beträgt 449 Euro monatlich und enthält einen Anteil für den Personalausweis: 26 Cent. Die sollen zehn Jahre lang angespart werden, bis ein neuer Ausweis fällig ist.
Und während man sich vorstellt, wie der Regelsatz eintrifft und ein Mensch freudig 0,26 Euro davon in ein Kästchen wirft, juhu, ich spare auf meinen Personalausweis, rechnet man nach. 120 Monate mal 26 Cent, das ergibt 31,20 Euro. Es reicht nicht einmal.
Und warum eigentlich wird diese Pflichterfüllung nicht über Steuern, sondern über Gebühren finanziert? Sodass es diejenigen, die wenig haben, besonders stark trifft? Das Innenministerium hat Antworten auf alle möglichen Fragen, aber auf diese nicht.
Es ist teuer, ich sehe mir die Zahlen noch mal an. 30,40 Euro für den Führerschein, 60 Euro für den Pass, 37 Euro für den Personalausweis, das macht, Moment, 127,40 Euro. Und nicht 139,40 Euro, wie auf dem Kassenzettel steht.
Ein Versehen? Eine Geheimgebühr?
Es ist kein Versehen, schreibt das Bezirksamt Altona, es sind die Kosten für die »Karteikartenabschrift«. Also dafür, dass ich meinen Führerschein vor Jahrzehnten in Stuttgart gemacht habe, jetzt aber in Hamburg wohne. Eine Art Umzugsgebühr.
Schade eigentlich. Wenn es ein Versehen gewesen wäre, hätte ich beim Bezirksamt angeregt, die 12 Euro zu spenden. Dann müsste zum Beispiel ein Hartz-IV-Bezieher 46 Monate weniger auf einen neuen Ausweis sparen.