Was sagt die Karte eines Restaurants schon vor dem Essen über seine Küche aus? In jedem Fall: Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.
In einem meiner früheren Leben lief ein normales Jahr ungefähr so: Januar, furchtbar, wohin mit dem Neujahrsblues und diesen unsinnigen Vorsätzen fürs Neue Jahr? Natürlich nach Paris, morgens erste Maschine hin, abends letzte zurück. Dazwischen Frühstück bei „Bofinger“ und Mittagessen bis zum späten Nachmittag im „Lucas Carton“, drei Micheln-Sterne, und so ziemlich das beste Restaurant, das ich je besucht habe. April, die erste Frühlingssonne, was fängt bloß man damit an? Sofort ins Auto, hoch nach Hamburg, ab ins „Louis C. Jacob“ und auf die Lindenterrasse des Hotels, ein wenig Champagner in der Sonne und das kleine Mittagsmenü. So flog das Jahr kulinarisch an mir vorbei und endete im Dezember zumeist mit der kleinsten Weihnachtsfeier der Welt mit nur einem Gast. Mit mir. Das konnte mal in Hannover in der „Insel“ oder mal in München im „Tantris“ sein.
Ein Teil dieses wirklich großen Spaßes war auch immer der Genuss der Speisekarten, das Studium jeder Position und das Wählen der einzelnen Gänge. Hat mir eine Karte besonders gut gefallen, habe ich sie nicht geklaut, sondern sie mir vom Küchenchef signieren lassen und mir gerahmt Zuhause in der Küche an die Wand gehängt. Nach ein paar Jahren tapeziert man da garantiert nicht mehr. Mittlerweile lebe nicht mehr in meiner Singlewohnung, bin Teil eines Drei-Personen-Haushalt inklusive privater Altersvorsorge und die ganzen Speisekarten stehen dank meiner Frau ohne Rahmen im Keller. Ein paar davon auf einem Tisch hinter Weinflaschen und neben ausrangierter Unterhaltungselektronik. Der Rest wurde hinter Weingläsern und Pasta versteckt.
Was aber geblieben ist, ist der Spaß an Speisekarten, die ich immer erst im Restaurant lese und natürlich nicht schon vorher online. Das gehört für mich zum essen gehen dazu wie der Aperitif dabei. In Hannover ist das mal ein großes Vergnügen. Aber auch mal keins, weil die Speisekarte Mist oder sogar ein Mythos ist.
Denn im „Ristorante Roma“ könnte man glauben, dass es sie gar nicht gibt. In den gut 30 Jahren, die ich da jetzt hingehe, hatte ich die Karte, glaube ich, mal in der Hand, aber es ist üblich, dass der Chef mir sagt, was die Küche aktuell zu bieten hat. „Alles da“ heißt, dass es heute alles gibt, was ich gerne esse. Tutto bene!
Das Gegenteil von keine Karte ist hingegen eine Karte und die ist dann gleich 15 Quadratmeter groß. Um Frische und Handwerk zu signalisieren gibt es in immer mehr Restaurants, gerne in der Systemgastronomie, wie früher in der Schule Tafeln. Auf die wird das Angebot so geschrieben, als würde es täglich wechseln, was aber gar nicht stimmt. Niedliche Illustration von Tomaten, Käseecken, Salatblättern und Salz- und Pefferstreuern täuschen frische Zutaten vor, die man in den meisten dieser Küchen aber eher selten sieht.
Wem eine Karte nicht reicht, der sollte mal in „Cafe Extrablatt“ gehen und sich anschauen, wie viele zusätzliche Flyer man in eine Speisekarte packen kann. Die Druckerei freut sich, der Gast ist genervt. Und dieses Design … Passt überhaupt nicht zum Ambiente, was, dass muss ich schon sagen, speziell in den neuen Läden echt einladend ist. „Pindopp Reloaded“ am Altenbekener Damm ist wirklich gelungen. Auch wenn mir jeder waschechte Südstädter, für den das „Pindopp“ so eine Art zweites Wohnzimmer in seinem Stadtteil war, dafür wahrscheinlich den Hals umdreht.
Der 2nd Place vieler anderer Hannoveraner ist seit Generationen das „Café Kröpcke“, seit 40 Jahren nun „Mövenpick“. Ich kenne kein Haus, in dem an jedem Tag gefühlt 3.000 Gäste bewirtet werden und in dem dabei so viel Wert auf Qualität und Frische gelegt wird. Das Mövenpick pflegt außerdem noch die schöne Tradition der Saisonkarte. Jeder Jahreszeit wird pünktlich zum Start ins Quartal eine neue Speisekarte gewidmet. Klar, es gibt Klassiker, aber auch in jedem Jahr neue Impulse mit Produkten ausgesuchter deutscher Erzeuger. Und zwar so beschrieben, dass der Gast weiß, was er bestellt und was danach in der Küche auf den Teller kommt.
Ich erwähne das auch deshalb, weil sich seit Jahren eine Art Speisekarten zu schreiben durchsetzt, die mehr Fragen aufwirft, als eine klare Vorstellung zu vermitteln. Diese Restaurants sind durchweg jung und ambitioniert, ihr Küchenstil meist klar und aromatisch, nur lesen sich deren Karten nicht so. Beispiele? Bitte sehr. Paprika, Deisterspeck, Fenchel, Hibiskus. Anderer Gang: Steinpilz. Zwiebel, Kirsche, Brunnenkresse. Zwei typische Positionen auf der Karte von Tony Hohlfeld im „Jante“. Oder: Fjordforelle, Sauerkraut, Brot. Nächste Position: Spanferkel, Polenta, Tomate. Zwei im Herbst aktuelle Gerichte auf der Karte in Thomas Wohlfelds „Handwerk“. Da wird schon mal für Gesprächsstoff gesorgt. Der vielen Paaren in Restaurants ja oft völlig fehlt. In ihrem Namen sag ich mal: Danke, Tony! Danke, Thomas!